„Schämst du dich nicht, Katja?", fragte die stellvertretende Schulleiterin vorwurfsvoll. „Du bist doch eine Einserschülerin! Die Hoffnung der Schule! Warum wälzt du dich hier im Dreck?"
„Sehen Sie", mischte sich Svjatoslav Igorevič ein, „die zwei kämpfen um die Aufmerksamkeit eines Jungen."
Jana Valer'evna zuckte zusammen. „Eines Jungen? Das kann nur Oleg sein. In dem Fall habt ihr mein Verständnis; doch helfen kann ich euch leider nicht. Also Mädchen, das Duell könnt ihr euch abschminken, solange keine Erlaubnis eurer Eltern und des Rektors vorliegt. Und Sie, Svjatoslav Igorevič, stecken sofort die Pistole weg!"
„Das ist eine Signalpistole!", wandte der Lehrer ein und schoss eine grüne Leuchtkugel in die Luft.
Die Drittklässler sahen zu, wie das Leuchten am Himmel erlosch, anschließend machten sie sich auf den Nachhauseweg. Katja und Mascha gingen mit finsteren Gesichtern nebeneinander her. Beide ahnten, dass ihnen ihre Eltern die Erlaubnis zum Duell nicht geben würden. Denn wenn es hart auf hart kam, müssten sie zum Messer greifen. Und im Falle ernsthafter Verletzungen, wäre es mit dem Zeichnen und dem Segelsport vorbei. „Du hast mich ganz schön erwischt …", sagte Mascha und rieb sich den Kiefer.
„Du mich auch", antwortete Katja. „Ich kann noch immer kaum gehen. Und die Hand tut mir weh von den Bleigewichten."
„Wenn du willst, trag ich deinen Schulranzen", warf Mascha ein. „Du musst am Leben bleiben, damit ich dich bald mal windelweich prügeln kann."
„Da", sagte Katja und hielt ihr die Schultasche hin. „Aber Oleg bekommst du nicht so leicht von mir. Damit du's weißt - Vielmännerei ist nicht mein Ding//einen Mann zu teilen, ist nicht mein Ding."
„Dazu musst du ihn erst einmal kriegen!", knurrte Mascha.
Wortlos gingen sie nebeneinander her, bis sich ihre Wege am Fußgängerüberweg trennten.
Am nächsten Morgen ging es drunter und drüber. Die Schulleitung hatte Svjatoslav Igorevič angewiesen, Mascha und Oleg auseinanderzusetzen. In der zweiten Stunde klopfte es, und ehe der Lehrer „herein" sagen konnte, wurde die Tür geöffnet. Eine Schar Viertklässlerinnen drängte herein und umringte Oleg kichernd.
„Der da, der ist es!", flüsterten sie einander zu.
„Raus mit euch, Mädchen, und macht die Tür hinter euch zu." Gehorsam zogen die Mädchen wieder ab.
Doch in der dritten Stunde wiederholte sich das Spiel. Nur war es diesmal ein Schwarm Sechstklässlerinnen. Manche waren geschminkt, und eine hatte sogar schon Brüste.
In der fünften Stunde wurde die Tür einfach aufgerissen und ein Holzpferd kam hereingetrabt, aus dessen Bauch acht Füße in Halbschuhen ragten.
„Er ist noch klein", antwortete eine zweite. „Ein Drittklässler. Der ist also sechs Jahre jünger als wir."
„Macht nichts", warf eine dritte ein. „In ein paar Jahren steht er voll im Saft. Du weißt ja, gute Jungs muss man aussuchen, so lange sie noch ganz klein sind."
„Kommt, wir schnappen ihn uns einfach und laufen weg!", schlug eine vierte vor. „Die kleinen Mädchen werden ihn nie finden."
Svjatoslav Igorevič lief purpurrot an: „Raus aus dem Pferd und dann aus meinem Klassenzimmer. Eine Schande, was für ein schlechtes Vorbild ihr für die Kleinen abgebt. Wo habt ihr dieses Pferd her? Etwa aus dem Geschichtsraum?
„Scheiße, da ist ja der Lehrer!", flüsterte es aus dem Pferdebauch. Lasst uns abhauen. Wieher!"
Das Pferd legte den Rückwärtsgang ein und stieß mit dem Hinterteil mehrmals gegen den Türpfosten, bis es den Weg durch die Öffnung fand und schließlich verschwand, ohne die Tür hinter sich zu schließen.
„Das reicht. Der Unterricht ist beendet, ihr könnt gehen", sagte der Lehrer mit einem tiefen Seufzer. „Für heute reichts mir mit den unerwarteten Besuchen. Oleg, bitte deine Mama, in die Schule zu kommen. Ich muss dringend mit ihr sprechen."
Die nächsten beiden Tage waren schulfrei. Mascha und Katja versuchten weiterhin, ihre Eltern zu überreden, ihnen die Erlaubnis zum Duell zu geben. Nur so könne nämlich verhindert werden, dass der einzige vielversprechende Junge von Unbekannten in einem Pferd verschleppt würde. Die Eltern blieben jedoch hart, da in ihren Augen für Drittklässlerinnen eine gute Ausbildung wichtiger war als eine glückliche Ehe.
Am Montag trafen sich die Mädchen der 3b auf dem Klo in ihrem Stockwerk und verrammelten die Tür.
„Also, Katja und Mascha!", begann Nina die Unterredung. „Ich kann natürlich verstehen, dass ihr für euer Glück kämpfen wollt. Doch unserer Meinung nach ist die Ehre der Klasse wichtiger. So lange die Mädchen aus der Parallelklasse und aus der Mittel- und Oberstufe drohen, Oleg zu entführen, gibt es Wichtigeres als die Frage, wer Oleg bekommt. Wir sollten ihn unter Geleitschutz stellen. Sonst ist der Grund für euer Duell plötzlich nicht mehr da. Klare Sache, ihr zwei werdet euch auch ohne Erlaubnis umbringen. Aber unser Junge wäre futsch."
Jemand rüttelte an der Klotür.
„Habt ihr einen Balrog dabei?", fragte Alisa und hielt die Tür zu.
„Nein, wir sind aus der 1a und müssen Pipi. Oleg ist uns egal!", quiekte es draußen.
„Okay", sagte Nina zusammenfassend, „wir treffen uns in der nächsten Pause wieder hier, um einen Plan zu schmieden!"
Aber so weit kam es gar nicht. Gleich nach dem Klingeln – noch bevor Svjatoslav Igorevič die Schüler bitten konnte, die Mathematikbücher auf Seite soundso aufzuschlagen – zerschmetterte ein Pflasterstein die Fensterscheibe, sodass Glassplitter auf seinen Stuhl rieselten.
„Sitzenbleiben!", schrie Svjatoslav Igorevič. Doch zu spät. Die Mädchen und Jungen der Klasse waren bereits aufgesprungen und zum Fenster gelaufen.
Unten stand eine Armee von Mädchen aus der Nachbarschule. Aus der Nummer 285. Vielleicht auch aus der Nummer 286. Jedenfalls an die fünfhundert Mädchen. Die Erstklässlerinnen mit großen Schleifen im Haar. Die Drittklässlerinnen mit Jo-Jos. Die Sechstklässlerinnen mit Baseballschlägern. Die Siebtklässlerinnen mit Schlagringen. Eine Elftklässlerin trug sogar einen Granatwerfer auf der Schulter. Ein etwa vierzehnjähriges Mädchen in einer Lederjacke mit einem Megaphon in der Hand trat nach vorn.
„Schülerinnen und Schüler der Schule Nummer 271! Ergebt euch!", erscholl ihre Stimme. In der 3b war zu hören, wie in sämtlichen Stockwerken die Fenster aufgerissen wurden. „Wir wollen kein Blutvergießen; wir sind nur wegen Oleg aus der 3b hier. Ach ja – zeigt ihn uns vorher. Damit wir uns vergewissern können, ob er wirklich so gut aussieht. Gebt ihr ihn nicht heraus, erwartet euch ein schrecklicher Kampf."
In dem Moment ertönte hinter den Drittklässlern lautes Gepolter: Jana Valer'evna kam zur Tür hereingestürmt. Mit Wimperntusche hatte sie sich bedrohliche schwarze Streifen auf die Wangen gemalt. Ihr Gesicht war wutverzerrt, und auch sie hielt ein Megaphon in den Händen. Sie packte Oleg an der Schulter und stieß ihn in Richtung Fenster.
„Euch Oleg ausliefern?! Von wegen! Gemeinsam werden wir für die Ehre unserer Schule kämpfen. Sogar die Männer! Sogar die Jungs! Sogar die Lehrer! Und wenn ihr auf eurer Forderung beharrt, rufen wir den Elternbeirat zur Hilfe. Schaut ihn euch an, den schönen Oleg Bystrickij. Und jetzt könnt ihr mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen!" Sie wandte sich um: „Svjatoslav Igorevič, haben Sie irgendein Wurfgeschoss hier?"
Der Lehrer, der Hobby-Kalligraf war, reichte ihr wortlos ein antiquarisches Tintenfässchen. Genussvoll schleuderte Jana Valer'evna es auf den Asphalt hinunter.
„In zehn Minuten erwarten wir euch auf dem Fußballplatz in Gefechtsaufstellung!", rief sie zum Fenster hinaus. „Und lasst euch bloß nicht einfallen, vorher anzugreifen, sonst beschweren wir uns beim Schulamt."
Türen klapperten. Der Unterricht war für alle beendet. Über die Lautsprecheranlage wurde die Schlacht angekündigt, und die Schülerinnen schnappten sich alles, was irgendwie als Waffe dienen konnte - Lineale, Zirkel, dicke Schulbüchern, hölzerne Winkelmessern von der Tafel. Die Jungs wollten sich dem Kampf anschließen, aber man überzeugte sie, zur Wahrung des Kräftegleichgewichts auf der Zuschauertribüne zu bleiben. Jana Valer'evna setzte Oleg in die erste Reihe. Zu seiner Rechten platzierte sie die Direktorin der Schule, zu seiner Linken Svjatoslav Igorevič. Um zu verhindern, dass Oleg unversehens abhanden käme.
Die Schülerinnen stellten sich auf. Die Mädchen aus der anderen Schule auf der linken Feldhälfte, die unseren auf der rechten. Darunter Erstklässlerinnen, die – wie das bei Fußtruppen so ist -, als Erste niedergemäht würden. Manche von ihnen traten von einem Fuß auf den anderen und überlegten, was dringender war: die Ehre der Schule zu verteidigen oder aufs Klo zu gehen. Die verantwortungsbewussteren Zweitklässlerinnen fauchten sie an, sich zusammenzureißen. Die Drittklässlerinnen krempelten die Ärmel hoch und blickten bedrohlich drein. Ab der fünften Klasse waren alle bereit, auch zu töten. Plötzlich flatterte über den Reihen der 3b ein weißes Tuch. Alle zuckten erstaunt zusammen. Katja nahm die Mütze ab und trat nach vorn.
„Laut den Duellregeln sind wir dazu angehalten, den Konflikt friedlich beizulegen", sagte sie, „aber den Vorschlag mache ich gar nicht erst. Ich liebe Oleg, und irgendwann, wenn ich Rugbymeisterin bin und Weltmeisterin im Bogenschießen, werde ich ihm meine Liebe beweisen. Und ich möchte auch die Ehre der Schule verteidigen, um anschließend die Segel zu setzen und mit meinen Mitschülerinnen und Lehrern aufs Meer hinauszufahren. Aber wir haben, glaube ich, die Menschenrechte aus dem Blick verloren. Hat denn irgendwer daran gedacht, Oleg nach seiner Meinung zu fragen? Möchte er hier bei uns bleiben oder bei euch? Oder vielleicht will er überhaupt nichts. Oleg, was sollen wir deiner Meinung nach tun?"
Zutiefst überrascht von diesem Gedanken, sahen die Soldatinnen der feindlichen Truppen sowie die Schüler und Lehrer auf den Tribünen zu Oleg.
… Mascha fiel die Kinnlade hinunter. Nina sagte: „Igitt …"