Leda Garina
Bilder – Daria Zarichnaya

Übersetzung – Petra Huber

Das Duell
Das Ganze spielte sich in einer Schule ab. In der Schule Nummer 256. Oder 271. Oder vielleicht sogar 287. Na egal.

Nicht egal ist, dass Katja aus der 3b sich in Oleg aus der 3b verliebte. Oleg saß in der ersten Reihe am Fenster. Himmel und Wolken spiegelten sich in seinen blauen Augen. Er hatte helles, fast weißes Haar und einen langen Pony. Und sein Hemdkragen war meistens leicht verknittert.

Immer wenn Katja ihn von ihrer Bank in der mittleren Reihe aus ansah, stockte ihr der Atem und sie wusste nicht mehr, welchen Unterricht sie gerade hatten. Wenn dann die Glocke läutete und alle aufsprangen, tat sie so, als bemerke sie ihn nicht. Damit er sich nichts einbildete und wer weiß was dachte.

Nur selten durfte sie es sich erlauben, ihm die Schultasche über den Schädel zu ziehen. Damit nicht einmal der Hauch eines Verdachts aufkommen konnte. Olegs Körper war drahtig und noch jungenhaft, doch die kantigeren, muskulöseren Formen eines Mannes deuteten sich bereits an. Jedes Mal, wenn er sich wegdrehte oder unter dem Schlag wegduckte, pulsierte die blaue Ader an seinem Hals heftiger. Katja setzte ein schadenfrohes Grinsen auf und lief an ihren Platz zurück. Dann malte sie sich in allen Farben aus, wie sie, das Steuerrad in der Hand, aufs nächtliche Meer hinaus fuhr oder Weltmeisterin im Biathlon wurde oder Oleg noch einmal schlug - damit ihm endlich klar würde, wie megacool sie war.
Doch dann wurden alle ihre Pläne durchkreuzt. Eines Morgens, noch vor Unterrichtsbeginn, öffnete der Lehrer die Tür des Klassenzimmers und ließ ein Mädchen herein. „Das ist Mascha, eure neue Mitschülerin", stellte Svjatoslav Igorevič das Mädchen vor. „Mascha kann … ach ja, da drüben sitzen; auf dem freien Platz neben Oleg. Mascha, nimm dort Platz."

Katjas Herz setzte einen Schlag aus. Den ganzen Tag über versuchte sie sich damit zu beruhigen, dass Mascha nur eine Drittklässlerin war, während sie selbst bald Kapitänin auf hoher See wäre und fast schon Weltmeisterin im Freistilringen war. Und würde der Kampf mit Schulranzen als olympische Diziplin eingeführt, wäre sie quasi unschlagbar. Als nach Unterrichtsende alle zur Garderobe hinausstürmten, trat eben jene Mascha zu ihr und fragte: „Hör mal, was kannst du mir über diesen Jungen, diesen Oleg, erzählen?

„Was soll ich über den erzählen?", fragte Katja verlegen.

„Du bist doch so was wie die Klassensprecherin. Erzähl mir alles. Hat er eine Freundin? Was für Wimpern, was für ein Blick, ich bin jetzt schon froh, dass ich hierher versetzt worden bin!"

Katja stockte der Atem.

„Nein, hat er nicht. Oder doch. Vielmehr nein. Ich bin seine Freundin! Das heißt, noch nicht, aber bald! Weil ich … Klassensprecherin bin und zukünftige Weltmeisterin im Freistilringen! Und du bist ein dreistes Miststück. Kommst einfach in eine fremde Klasse hereinspaziert und versuchst, dir fremde Jungs zu schnappen. Wer glaubst du, dass du bist?"

„Wer ich bin?" – Mascha lief rot an – „Ich bin Siegerin im Malwettbewerb des Moskauer Bezirks! Meine Mama kann Autofahren! Und außerdem hab ich einen Elektrobausatz mit 200 Teilen, aus dem ich sogar ein Radio zusammensetzen kann! Aber wer du bist, ist mir schleierhaft. Da du mir unbedingt im Weg stehen willst, fordere ich dich zum Duell! Morgen nach dem Unterricht bei den Garagen hinten auf dem Fußballfeld."

Unbemerkt waren die Mädchen von ihren Klassenkameradinnen umringt worden. „Warum wirfst du nicht gleich den Fehdehandschuh!", rief Katjas Freundin Nina spöttisch.

„Das würde ich ja, nur hab ich heute keinen dabei", entgegnete Mascha unbeeindruckt. „Und selbst wenn, würde es sich nicht lohnen, ihn wegen so etwas dreckig zu machen!" Sie drehte sich so abrupt um, dass ihr langer, dunkler Zopf durch die Luft pfiff. Während sie das Schulgebäude verließ, überlegte sie, dass sie, falls Katja sie morgen besiegte, nicht nur Oleg, sondern auch den Respekt aller anderen verlieren würde. Daher machte sie den ganzen Tag und die ganze Nacht Liegestützen, übte Kungfu-Techniken, sah sich Duelle von Fechterinnen an und probierte mehrmals den Cruciatus-Fluch an ihren Puppen aus.

Katja bat Nina und Svjatoslav Igorevič, ihr als Sekundanten zu dienen, stand von fünf bis neun Uhr abends auf den Fäusten im Handstand, ehe sie dann ihrem älteren Bruder einen Proteinshake abluchste.

Da sie Klavierunterricht nahm, besaß sie kleine Bleigewichte, die man Pianisten an die Handgelenke bindet, um das Spielen zu erschweren. Beim zweiten Versuch gelang es ihr, sich diese mit einem Taschentuch an den Fingerknöcheln festzubinden.

Die ganze 3b schlief in dieser Nacht schlecht. Die einen träumten von Prinzessin Kitana, andere von Daenerys Sturmtochter, deren Drachen alles versengten, wieder andere von mehreren Fünfern im Quartalszeugnis … Daher hatten in der ersten Stunde alle gerötete Augen. Außer Oleg, der völlig ahnungslos war, weil ihn seine Mama am Vortag früher von der Schule abgeholt hatte.

Bis die Klingel das Unterrichtsende verkündigte, rutschten die Schüler auf den Stühlen hin und her, ein paar von ihnen waren so beeindruckt, dass sie den Mädchen der Parallelklasse vom bevorstehenden Duell erzählten, die es wiederum den Jungs erzählten; dementsprechend war um zwei Uhr die ganze Jahrgangsstufe vor den Garagen versammelt. Svjatoslav Igorevič hatte eine Rolle rot-weißes Absperrband mitgebracht, um den Ort des Zweikampfes zu markieren, während Nina sich die Trillerpfeife der Sportlehrerin ausgeliehen hatte.

Katja kam als Erste. Sie trug ihren roten Trainingsanzug und eine schwarze Mütze, um die Haare aus dem Gesicht zu halten. Mascha kam in Pullover und Sporthose. Zur Einschüchterung schlug sie ein Rad und machte mitten im Dreck einen Spagat. Als sie sich dann umdrehte und bemerkte, dass Oleg nicht unter den Zuschauern war und es daher wenig Sinn hatte, sich in Szene zu setzen, ging sie zu Katja.


„Mädchen!", sagte Svjatoslav Igorevič an die beiden Mädchen gewandt. „Laut den Duellregeln muss ich euch zu einer friedlichen Beilegung auffordern. Eigentlich müsste ich euch auch Pistolen vorschlagen, aber dann verliere ich meinen Job. Vielleicht gelingt es uns ja doch, den Konflikt mit Worten zu lösen?"

Die Drittklässler pfiffen empört.

„Oleg oder den Tod!", rief jemand in der zweiten Reihe.

„Oleg!", rief Katja, und ihre Faust mit dem Bleigewicht schnellte auf Maschas Kiefer zu.

Mascha wich jedoch so geschickt aus, dass die Faust sie nur streifte, packte Katja an den Schultern und rammte ihr das Knie in die Leiste. Unwillkürlich krümmte Katja sich vor Schmerz, nutzte jedoch die Bewegung, um ihre Gegnerin in die Schulter zu beißen. Einander umklammernd fielen die Mädchen in den Dreck. Die Drittklässler griffen nach den Messern in ihren Schultaschen, um sie den Duellantinnen nötigenfalls zuzuwerfen. Svjatoslav Igorevič zog eine Pistole aus der Innentasche seiner Jacke.

In diesem Moment tauchte Jana Valer'evna, diе stellvetretende Schulleiterin, im Stadion auf. „Messer weg, und zwar sofort!", rief sie von weitem. „Sonst bleibt ihr alle morgen nach dem Unterricht da und putzt die Schulkantine! Was soll das?!" – schon drängte sie sich eilig zwischen den murrenden Kindern hindurch zu dem mit Absperrband markierten Bereich. „Wisst ihr denn nicht, dass Duelle mit der Schulverwaltung abgesprochen werden müssen? Natürlich muss die Erlaubnis der Eltern vorliegen!" – sie packte eine der sich am Boden Wälzenden und zog sie auf die Beine. „Wen haben wir denn da?", fragte sie, zog ein Taschentuch heraus und wischte der Übeltäterin den Dreck aus dem Gesicht. „Sieh an, die Mascha Altuf'eva. Wir haben dich doch vorgestern erst aufgenommen. Hast du eine Erlaubnis?" „Freiheit braucht keine Absprachen!", entgegnete Mascha frech, während sie sich Jana Valer'evnas Griff entwand. Die war bereits dabei, Katja auf die Beine zu ziehen.


„Schämst du dich nicht, Katja?", fragte die stellvertretende Schulleiterin vorwurfsvoll. „Du bist doch eine Einserschülerin! Die Hoffnung der Schule! Warum wälzt du dich hier im Dreck?"

„Sehen Sie", mischte sich Svjatoslav Igorevič ein, „die zwei kämpfen um die Aufmerksamkeit eines Jungen."

Jana Valer'evna zuckte zusammen. „Eines Jungen? Das kann nur Oleg sein. In dem Fall habt ihr mein Verständnis; doch helfen kann ich euch leider nicht. Also Mädchen, das Duell könnt ihr euch abschminken, solange keine Erlaubnis eurer Eltern und des Rektors vorliegt. Und Sie, Svjatoslav Igorevič, stecken sofort die Pistole weg!"

„Das ist eine Signalpistole!", wandte der Lehrer ein und schoss eine grüne Leuchtkugel in die Luft.

Die Drittklässler sahen zu, wie das Leuchten am Himmel erlosch, anschließend machten sie sich auf den Nachhauseweg. Katja und Mascha gingen mit finsteren Gesichtern nebeneinander her. Beide ahnten, dass ihnen ihre Eltern die Erlaubnis zum Duell nicht geben würden. Denn wenn es hart auf hart kam, müssten sie zum Messer greifen. Und im Falle ernsthafter Verletzungen, wäre es mit dem Zeichnen und dem Segelsport vorbei. „Du hast mich ganz schön erwischt …", sagte Mascha und rieb sich den Kiefer.

„Du mich auch", antwortete Katja. „Ich kann noch immer kaum gehen. Und die Hand tut mir weh von den Bleigewichten."

„Wenn du willst, trag ich deinen Schulranzen", warf Mascha ein. „Du musst am Leben bleiben, damit ich dich bald mal windelweich prügeln kann."

„Da", sagte Katja und hielt ihr die Schultasche hin. „Aber Oleg bekommst du nicht so leicht von mir. Damit du's weißt - Vielmännerei ist nicht mein Ding//einen Mann zu teilen, ist nicht mein Ding."

„Dazu musst du ihn erst einmal kriegen!", knurrte Mascha.

Wortlos gingen sie nebeneinander her, bis sich ihre Wege am Fußgängerüberweg trennten.

Am nächsten Morgen ging es drunter und drüber. Die Schulleitung hatte Svjatoslav Igorevič angewiesen, Mascha und Oleg auseinanderzusetzen. In der zweiten Stunde klopfte es, und ehe der Lehrer „herein" sagen konnte, wurde die Tür geöffnet. Eine Schar Viertklässlerinnen drängte herein und umringte Oleg kichernd.

„Der da, der ist es!", flüsterten sie einander zu.

„Raus mit euch, Mädchen, und macht die Tür hinter euch zu." Gehorsam zogen die Mädchen wieder ab.

Doch in der dritten Stunde wiederholte sich das Spiel. Nur war es diesmal ein Schwarm Sechstklässlerinnen. Manche waren geschminkt, und eine hatte sogar schon Brüste.

In der fünften Stunde wurde die Tür einfach aufgerissen und ein Holzpferd kam hereingetrabt, aus dessen Bauch acht Füße in Halbschuhen ragten.

„Er ist noch klein", antwortete eine zweite. „Ein Drittklässler. Der ist also sechs Jahre jünger als wir."

„Macht nichts", warf eine dritte ein. „In ein paar Jahren steht er voll im Saft. Du weißt ja, gute Jungs muss man aussuchen, so lange sie noch ganz klein sind."

„Kommt, wir schnappen ihn uns einfach und laufen weg!", schlug eine vierte vor. „Die kleinen Mädchen werden ihn nie finden."

Svjatoslav Igorevič lief purpurrot an: „Raus aus dem Pferd und dann aus meinem Klassenzimmer. Eine Schande, was für ein schlechtes Vorbild ihr für die Kleinen abgebt. Wo habt ihr dieses Pferd her? Etwa aus dem Geschichtsraum?

„Scheiße, da ist ja der Lehrer!", flüsterte es aus dem Pferdebauch. Lasst uns abhauen. Wieher!"

Das Pferd legte den Rückwärtsgang ein und stieß mit dem Hinterteil mehrmals gegen den Türpfosten, bis es den Weg durch die Öffnung fand und schließlich verschwand, ohne die Tür hinter sich zu schließen.

„Das reicht. Der Unterricht ist beendet, ihr könnt gehen", sagte der Lehrer mit einem tiefen Seufzer. „Für heute reichts mir mit den unerwarteten Besuchen. Oleg, bitte deine Mama, in die Schule zu kommen. Ich muss dringend mit ihr sprechen."

Die nächsten beiden Tage waren schulfrei. Mascha und Katja versuchten weiterhin, ihre Eltern zu überreden, ihnen die Erlaubnis zum Duell zu geben. Nur so könne nämlich verhindert werden, dass der einzige vielversprechende Junge von Unbekannten in einem Pferd verschleppt würde. Die Eltern blieben jedoch hart, da in ihren Augen für Drittklässlerinnen eine gute Ausbildung wichtiger war als eine glückliche Ehe.

Am Montag trafen sich die Mädchen der 3b auf dem Klo in ihrem Stockwerk und verrammelten die Tür.

„Also, Katja und Mascha!", begann Nina die Unterredung. „Ich kann natürlich verstehen, dass ihr für euer Glück kämpfen wollt. Doch unserer Meinung nach ist die Ehre der Klasse wichtiger. So lange die Mädchen aus der Parallelklasse und aus der Mittel- und Oberstufe drohen, Oleg zu entführen, gibt es Wichtigeres als die Frage, wer Oleg bekommt. Wir sollten ihn unter Geleitschutz stellen. Sonst ist der Grund für euer Duell plötzlich nicht mehr da. Klare Sache, ihr zwei werdet euch auch ohne Erlaubnis umbringen. Aber unser Junge wäre futsch."

Jemand rüttelte an der Klotür.

„Habt ihr einen Balrog dabei?", fragte Alisa und hielt die Tür zu.

„Nein, wir sind aus der 1a und müssen Pipi. Oleg ist uns egal!", quiekte es draußen.

„Okay", sagte Nina zusammenfassend, „wir treffen uns in der nächsten Pause wieder hier, um einen Plan zu schmieden!"

Aber so weit kam es gar nicht. Gleich nach dem Klingeln – noch bevor Svjatoslav Igorevič die Schüler bitten konnte, die Mathematikbücher auf Seite soundso aufzuschlagen – zerschmetterte ein Pflasterstein die Fensterscheibe, sodass Glassplitter auf seinen Stuhl rieselten.

„Sitzenbleiben!", schrie Svjatoslav Igorevič. Doch zu spät. Die Mädchen und Jungen der Klasse waren bereits aufgesprungen und zum Fenster gelaufen.

Unten stand eine Armee von Mädchen aus der Nachbarschule. Aus der Nummer 285. Vielleicht auch aus der Nummer 286. Jedenfalls an die fünfhundert Mädchen. Die Erstklässlerinnen mit großen Schleifen im Haar. Die Drittklässlerinnen mit Jo-Jos. Die Sechstklässlerinnen mit Baseballschlägern. Die Siebtklässlerinnen mit Schlagringen. Eine Elftklässlerin trug sogar einen Granatwerfer auf der Schulter. Ein etwa vierzehnjähriges Mädchen in einer Lederjacke mit einem Megaphon in der Hand trat nach vorn.

„Schülerinnen und Schüler der Schule Nummer 271! Ergebt euch!", erscholl ihre Stimme. In der 3b war zu hören, wie in sämtlichen Stockwerken die Fenster aufgerissen wurden. „Wir wollen kein Blutvergießen; wir sind nur wegen Oleg aus der 3b hier. Ach ja – zeigt ihn uns vorher. Damit wir uns vergewissern können, ob er wirklich so gut aussieht. Gebt ihr ihn nicht heraus, erwartet euch ein schrecklicher Kampf."

In dem Moment ertönte hinter den Drittklässlern lautes Gepolter: Jana Valer'evna kam zur Tür hereingestürmt. Mit Wimperntusche hatte sie sich bedrohliche schwarze Streifen auf die Wangen gemalt. Ihr Gesicht war wutverzerrt, und auch sie hielt ein Megaphon in den Händen. Sie packte Oleg an der Schulter und stieß ihn in Richtung Fenster.

„Euch Oleg ausliefern?! Von wegen! Gemeinsam werden wir für die Ehre unserer Schule kämpfen. Sogar die Männer! Sogar die Jungs! Sogar die Lehrer! Und wenn ihr auf eurer Forderung beharrt, rufen wir den Elternbeirat zur Hilfe. Schaut ihn euch an, den schönen Oleg Bystrickij. Und jetzt könnt ihr mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen!" Sie wandte sich um: „Svjatoslav Igorevič, haben Sie irgendein Wurfgeschoss hier?"

Der Lehrer, der Hobby-Kalligraf war, reichte ihr wortlos ein antiquarisches Tintenfässchen. Genussvoll schleuderte Jana Valer'evna es auf den Asphalt hinunter.

„In zehn Minuten erwarten wir euch auf dem Fußballplatz in Gefechtsaufstellung!", rief sie zum Fenster hinaus. „Und lasst euch bloß nicht einfallen, vorher anzugreifen, sonst beschweren wir uns beim Schulamt."

Türen klapperten. Der Unterricht war für alle beendet. Über die Lautsprecheranlage wurde die Schlacht angekündigt, und die Schülerinnen schnappten sich alles, was irgendwie als Waffe dienen konnte - Lineale, Zirkel, dicke Schulbüchern, hölzerne Winkelmessern von der Tafel. Die Jungs wollten sich dem Kampf anschließen, aber man überzeugte sie, zur Wahrung des Kräftegleichgewichts auf der Zuschauertribüne zu bleiben. Jana Valer'evna setzte Oleg in die erste Reihe. Zu seiner Rechten platzierte sie die Direktorin der Schule, zu seiner Linken Svjatoslav Igorevič. Um zu verhindern, dass Oleg unversehens abhanden käme.

Die Schülerinnen stellten sich auf. Die Mädchen aus der anderen Schule auf der linken Feldhälfte, die unseren auf der rechten. Darunter Erstklässlerinnen, die – wie das bei Fußtruppen so ist -, als Erste niedergemäht würden. Manche von ihnen traten von einem Fuß auf den anderen und überlegten, was dringender war: die Ehre der Schule zu verteidigen oder aufs Klo zu gehen. Die verantwortungsbewussteren Zweitklässlerinnen fauchten sie an, sich zusammenzureißen. Die Drittklässlerinnen krempelten die Ärmel hoch und blickten bedrohlich drein. Ab der fünften Klasse waren alle bereit, auch zu töten. Plötzlich flatterte über den Reihen der 3b ein weißes Tuch. Alle zuckten erstaunt zusammen. Katja nahm die Mütze ab und trat nach vorn.

„Laut den Duellregeln sind wir dazu angehalten, den Konflikt friedlich beizulegen", sagte sie, „aber den Vorschlag mache ich gar nicht erst. Ich liebe Oleg, und irgendwann, wenn ich Rugbymeisterin bin und Weltmeisterin im Bogenschießen, werde ich ihm meine Liebe beweisen. Und ich möchte auch die Ehre der Schule verteidigen, um anschließend die Segel zu setzen und mit meinen Mitschülerinnen und Lehrern aufs Meer hinauszufahren. Aber wir haben, glaube ich, die Menschenrechte aus dem Blick verloren. Hat denn irgendwer daran gedacht, Oleg nach seiner Meinung zu fragen? Möchte er hier bei uns bleiben oder bei euch? Oder vielleicht will er überhaupt nichts. Oleg, was sollen wir deiner Meinung nach tun?"

Zutiefst überrascht von diesem Gedanken, sahen die Soldatinnen der feindlichen Truppen sowie die Schüler und Lehrer auf den Tribünen zu Oleg.

… Mascha fiel die Kinnlade hinunter. Nina sagte: „Igitt …"


Oleg hatte keine Augen für das Fußballfeld. Vielmehr war er – während zwei Schulen sich zur entscheidenden Schlacht bereit machten – damit beschäftigt, den Inhalt seiner Nase zu untersuchen. Und genau in dem Moment, in dem aller Augen auf ihn gerichtet waren, steckte er sich den merkwürdig geformten Popel, den er eingehend betrachtet hatte, in aller Selenruhe in den Mund.

„Oleg frisst Popel!", rief eine Erstklässlerin aus der anderen Schule.

Ein Raunen lief durch die Armeen, und alle wandten peinlich berührt den Blick ab. Die kleinen und die großen Mädchen sowie die Lehrer ließen Schlagringe und Schläger sinken, reichten ihren Gegnerinnen die Hand und gingen zurück in ihren Stadtteil. Eine Elftklässlerin händigte Jana Valer'evna den Granatwerfer aus. Der Sportlehrer schenkte einer Erstklässlerin seine Trillerpfeife. Schweigend kehrten alle in das Schulgebäude zurück.

Katja war hundeelend zumute. Sie war darauf gefasst gewesen, ihr Leben zu opfern und Oleg an Mascha zu verlieren, aber eine solche Enttäuschung hatte sie nicht erwartet. Es fühlte sich an, als würde in ihrem Inneren jemand mit einem Ziegelstein über einen Tellerrand fahren. Als würde in ihrem Mund etwas verfaulen.

Svjatoslav Igorevič putzte seine Brille. „Also gut, zurück zur Mathematik. Gleb, komm bitte vor an die Tafel."

Gleb stand auf und ging nach vorn. Er hatte schwarze Haare und graue Augen und wenn er lächelte, bildeten sich Grübchen in seinen Wangen - die so niedlich waren, dass viele den Blick nicht davon losreißen konnten.

Katja sah Gleb an und seufzte plötzlich aus tiefster Brust. In ihr stieg der Wunsch auf, ins Weltall zu fliegen oder Schachgroßmeisterin zu werden. Und mit Mascha eine internationale Porträtausstellung zu organisieren. Und auf alle Fälle eine Expedition zum Südpol zu machen und den Pazifik zu bezwingen.

Lächelnd drehte Gleb die Kreide zwischen den Fingern. In seiner Freizeit spielte er Trompete.


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