Nicht in einem fernen Königreich, sondern in einem ganz gewöhnlichen Wohnhaus lebten einmal zwei Schwestern - Anja und Tanja. Sie hatten eine durchschnittliche Familie: Mutter, Vater, Großmutter und eine Katze. Einen Großvater gab es nicht, er starb vor langer, langer Zeit im Krieg und Anja und Tanja hatten ihn nie gesehen, nur sein Foto, das eingerahmt an der Wand hing.
Die Schwestern waren unterschiedlich: Anja ging in die fünfte Klasse und liebte Enzyklopädien und Tanja ging in die dritte Klasse und liebte Tiere. Dennoch wurden sie oft miteinander verwechselt und ärgerten sich darüber, dass ihre Namen sich so ähnelten. Hätten sie zum Beispiel Suzanna und Verlibra geheißen, dann wäre es viel besser gewesen.
Man kann nicht sagen, dass die Mädchen ein langweiliges oder schwieriges Leben hatten, nein. Sie gingen gerne in die Schule, besuchten verschiedene Nachmittagskurse, bastelten zu Hause und schauten Zeichentrickfilme. Vielleicht wäre unsere Geschichte ohne besondere Ereignisse weitergegangen, hätte sich nicht ein wahrhaftig magischer Vorfall ereignet.
Zunächst war aber nichts Magisches daran: Tanja und Anja besuchten mit ihrer Großmutter deren Freundin Tamara. Diese Freundin - auch eine alte Dame im Ruhestand, wie die Großmutter der Mädchen - lebte mit ihrer getigerten Katze in einer Wohnung voller Pflanzen am Rande der Stadt. Die Mädchen hatten sie bereits besucht und liebten es, Tamaras alte Fotos anzuschauen, ihre alten Hüte anzuprobieren, mit der Katze zu spielen und Geschichten von Abenteuern zuzuhören. In ihrer Jugend erkundete Tamara ferne Wälder, besuchte den hohen Norden und Vulkane. An diesem Tag bat Tamara die Mädchen ihr zu helfen.
- Tanja, Anja! Ihr liebt doch alte Schätze? Dann helft mir heute, - Tamara stellte eine große Holzschatulle vor die beiden. - Ich brauche das alles nicht, aber es wäre schade alles wegzuwerfen. Schaut doch mal, ob für euch etwas dabei ist. Das meiste davon ist Krimskrams, aber bestimmt gibt es auch etwas Wertvolles.
Voller Freude begannen die Mädchen den Inhalt der Schatulle zu sortieren. Es gab einzelne Ohrringe aus alten Zeiten, Schlüssel, die wie Fragezeichen aussahen und Zahnräder, die inzwischen nur noch in Museen zu finden sind. Während die Mädchen die Schätze begutachteten und teilten, tranken die alten Damen Tee, unterhielten sich und kommentierten bisweilen einzelne Fundstücke der Mädchen oder erklärten, wozu einige der Dinge dienten.
- Und was ist das für eine Münze? Schau, da steht nicht mal eine Zahl, nur der Buchstabe "U", was ist das?
- Das ist... – Tamara überlegte. - Anscheinend haben wir das von einer Reise mit meinem ersten Mann mitgebracht ... Ja genau, wir haben einer Straßenverkäuferin fast alle ihre Souvenirs abgekauft und sie hat uns diese Münze geschenkt und gesagt, dass sie über magische Kräfte verfügt. Wir müssen uns etwas wünschen, aber unbedingt gemeinsam! Dann sollen wir die Münze in den Fluss werfen und der Wunsch wird in Erfüllung gehen. Ha-ha, auf was für Ideen die Leute kommen: sie werfen Münzen in Brunnen und binden Knoten, damit Wünsche in Erfüllung gehen!
Tamara lachte erneut und erinnerte sich an die Reise und ihre Jugend.
- Warum hast du keine Münze ins Wasser geworfen? Hast du dir keinen Wunsch überlegt? - fragte Tanja.
Tamara überlegte:
- Wir konnten uns auf keinen gemeinsamen Wunsch einigen. Wir diskutieren hin und her und haben am Ende doch nichts entschieden. Ich wollte etwas Lustiges, zum Beispiel, dass Menschen wie Vögel fliegen können. Mein Mann wollte aber Fabrikdirektor werden.
- Und, ist er einer geworden? fragte Anja.
Tamara lachte wieder:
Nein, er wurde kein Fabrikdirektor. Nach dieser Reise haben wir uns auch bald scheiden lassen. Er war ein schrecklicher Langweiler. Ich lebte daraufhin sehr glücklich, vergaß aber die Münze. Aber ihr könnt euch etwas einfallen lassen, wobei nur ein gemeinsamer Wunsch zählt.
Anja drehte die Münze in ihren Händen: sie war aus hellem Metall, sehr klein und wirkte nicht gerade sehr wertvoll:
- Nein, ich glaube nicht an Zauberei.
Aber Tanja wollte sehr gern daran glauben:
- Komm, versuchen wir es trotzdem? Komm, bitte, einfach so? Zum Spaß, ok?
- Ähh, ich weiß nicht, wir sind doch keine kleinen Kinder mehr ...
- Schau, Tamara und ihr Mann konnten sich nicht einigen, und wir jetzt etwa auch nicht? Wir verstehen uns doch gut! - Tanja wusste, wie man die richtigen Argumente findet.
Jetzt wurde Anjas Stolz angestachelt: wir können das doch bestimmt besser als der einfältige Ex-Ehemann von Tamara?!
- „Also gut, wir wünschen uns etwas, aber ich glaube trotzdem nicht an Zauberei, sondern nur an die Wissenschaft", lenkte Anja ein.
Die Mädchen blieben noch eine Weile bei Tamara. Zu Hause begutachteten sie ihre Schätze erneut: Zahnräder, Schlüssel und andere alte Fundstücke und redeten dann weiter über den gemeinsamen Wunsch.
- Vielleicht könnten wir uns wünschen, dass das Wetter überall gut wird? Und die Sonne soll immer scheinen, damit das Meer warm bleibt. - schlug Tanja vor.
- Nein, das wäre schlecht, es würde der Natur schaden. Die Natur braucht Regen und Schnee, sonst wird nichts wachsen,- widersprach Anja. – Wünschen wir uns lieber, dass die Menschen in den Weltraum ohne Raumanzug fliegen können?
- Naja ... Es ist etwas langweilig ... Vielleicht wünschen wir uns einen Süßigkeitensee? Oder ein ganzes Meer davon?
- Süßigkeiten sind natürlich super, aber irgendwie ist es schade, einen ganzen Wunsch auf sowas Einfaches zu verschwenden. Überlege mal, wir könnten uns wünschen, dass alle Menschen auf der ganzen Welt glücklich sind!
- Auf der ganzen Welt ... - Tanja dachte nach, - Die Welt… der Weltfrieden! Genau! Damit es keinen Krieg gibt!
- Ja, das wäre gut, aber wie?
- Vielleicht wünschen wir uns, dass alle Waffen verschwinden, dann kann man keinen Krieg mehr führen, stimmts?
- Stimmt genau! Alle Schießwaffen, Geschütze, Panzer – alles soll verschwinden! - Anja gefiel diese Idee sehr. - Großmutter sagte, dass die Menschen immer noch nicht aufhören können zu kämpfen, sie schaffen es einfach nicht. In einer Enzyklopädie habe ich gelesen, dass es so viele Waffen auf der Welt gibt, dass unser Planet mehrfach zerstört werden könnte!
- Gut, aber dann keine Süßigkeiten? – fragte Tanja nach.
- Süßigkeiten ... Wir wünschen uns, dass sich alle Waffen in Süßigkeiten verwandeln!
- Und Panzer? Maschinengewehre? Bomben?
- Ja, ja, wir wünschen uns, dass alle Waffen sich in Süßigkeiten verwandeln!
Die Mädchen waren sehr zufrieden mit ihrer Idee und damit alles seine Ordnung hatte, schrieben sie ihren Wunsch auf ein Blatt Papier und gingen zum Flussufer. Dort lasen sie ihn, Händchen haltend, feierlich vor und warfen anschließend die Münze mit dem Buchstaben „U" in einem hohen Bogen in den Fluss. Zum Abschied blitzte die Münze in der Luft kurz auf, gluckste und verschwand.